Interview des rbb mit Michaela Sambanis, Professorin für Didaktik des Englischen an der Freien Universität Berlin
Die Sommerferien haben in Berlin und Brandenburg begonnen und die Bücher liegen schon in der Ecke. Sechseinhalb Wochen frei - aber wäre es vielleicht besser, nochmal auf den Schulstoff zu gucken, bevor es im September wieder losgeht?
rbb: Frau Sambanis, ist es sinnvoll, dass Kinder in den Ferien lernen?
Michaela Sambanis: Zunächst mal sind Ferien zur Erholung da. Jeder, der jeden Tag in die Schule gegangen ist, hat sich erst einmal eine Portion Erholung verdient. Das ist ganz wichtig. Doch die Sommerferien haben eine gewisse Länge - und dagegen, dass das Gehirn allzu viel vergisst - kann man ein bisschen was tun. Oder auch gegen Lernrückstände. Da kann man sich sagen, dass man etwas Zeit hat und entspannt ist und man ein bisschen was aufarbeiten kann, ohne unter Druck zu kommen.
rbb: Wie macht man das am besten, ohne unter Druck zu kommen?
Michaela Sambanis: Man sollte nicht zu viel und nicht zu lange lernen und keine Lernobsession entwickeln in den Schulferien. Sondern sich vielleicht erst einmal entspannen und erst dann lernen und Inhalte auffrischen, wenn es langsam wieder aufs Schuljahr zugeht. Auch sollte man nicht zu lange lernen. Bei Teenagern reichen schon etwa 30 Minuten am Tag. Mit genügend Pausenzeiten zwischendurch darf es auch ein bisschen länger sein, aber möglichst nicht mehr als je 30 Minuten am Stück zwischen den Pausenzeiten. Als Faustregel kann man sich das Lebensalter mal zwei in Minuten merken. Für ein achtjähriges Kind würden also etwa 16 Minuten ausreichen. Wichtig ist: in den Ferien alles mit Maß und alles mit Spaß.
Und an schönen Sonnentagen kann man die Lerneinheit auch gerne mal aussetzen. Das schadet dann nichts. Aber Inhalte zu wiederholen ist grundsätzlich nicht schlecht. Spannend ist die Frage, wie man das Gehirn dazu bekommt, zu wiederholen. Das macht es nämlich nicht gern. Es lernt viel lieber Neues.
Man kann das Lernen in den Sommerferien mit ein paar schönen Tipps auch mal anders gestalten: Man muss nicht immer im Sitzen lernen. Man kann sich dabei bewegen. Ob es das Auf- und Abgehen im Zimmer ist oder man einen Lernspaziergang macht. Man kann auch mal so richtig deutlich Gestik und Mimik nutzen, um sich was zu erklären. All das kann dem Gehirn helfen.
Außerdem kann man auch mal mit einem Lernpartner oder einer Lernpartnerin zusammenarbeiten. Dann hat man auch das soziale Bedürfnis erfüllt und ist nicht so allein. Brilliant ist da auch, wenn Eltern sich von ihren Kindern mal was beibringen lassen. Egal, ob das Kind dabei erklärt, wie man einen I-Punkt richtig auf ein I zeichnet oder es etwas aus dem Leistungskurs Physik erklärt. Alles ist da wertvoll. Es ist toll, wenn die Kinder in die Rolle des Experten oder der Expertin kommen.
rbb: Hat man schon einmal untersucht, wie es sich auswirkt, wenn Schüler in den Ferien gelernt haben?
Michaela Sambanis: Es gibt vor allen Dingen Studien dazu, die zeigen, wie viel man über die Sommerferien vergisst. Da gibt es über den Sommer einen "Summer Learning Loss". Dass wir vergessen, ist ein natürlicher Mechanismus unseres Gehirns, denn es kann nicht alles behalten, was reinkommt. Es hat limitierte Energie zur Verfügung. Aus Studien aus den USA wissen wir, dass über die Sommerzeit 40 bis 50 Prozent des Unterrichtsstoffs zwar nicht ganz vergessen werden, sich aber abschwächt beziehungsweise erstmal verblasst. Man kann den Stoff oft wieder reaktivieren. Das sind aber Zahlen, die uns teilweise in Alarmbereitschaft versetzen. Ich möchte da ein bisschen Entwarnung geben. In Deutschland sind die Sommerferien sechseinhalb Wochen lang. Die Daten aus den USA basieren auf richtig langen Sommerferien von fast drei Monaten.
Wenn man dem Gehirn hilft, sich immer wieder an Sachen zu erinnern, entsteht dieses Vergessen erst gar nicht.
rbb: Deshalb haben Sie vorhin gesagt, man solle eher in den letzten Ferienwochen nochmal in die Hefte schauen, um aufzufrischen, was zuletzt in der Schule gemacht wurde?
Michaela Sambanis: Ja, genau. Oder man nimmt sich die Dinge vor, von denen man denkt, dass man Auffrischung brauchen könnte. Im sprachlichen Bereich sagt man oft, dass die Vokabeln verschwinden. Also alles, was man nicht benutzt, verschwindet irgendwann oder schwächt sich im Gehirn ab. Dagegen kann man nur mit Wiederholungen anarbeiten. Aber in den Ferien sollte dieses Lernen dann auch wirklich Freude machen und den Kindern nicht den ganzen Sommer verderben.
rbb: Trotz toller Tipps stößt das Lernen in den Ferien vielleicht nicht immer auf Begeisterung. Ein bisschen Druck müssen Eltern manchmal schon ausüben. Wie findet man da das richtige Maß?
Michaela Sambanis: Von ganz allein passiert das, gerade bei Teenagern, tatsächlich nicht. Doch diese leichte Abwehrreaktion der Kinder ist etwas ganz Natürliches und gar nicht ungesund. Denn wie schon erwähnt, schaut unser Gehirn lieber auf Neues. Wir haben eine sehr aktive kleine Hirnstruktur, das ist der Hippocampus. Dieser ist unser Neuigkeitsdetektor. Er schaut immer, wo es etwas Neues in unserer Umwelt zu entdecken gibt. Denn wo uns etwas Neues begegnet, haben wir die größten Lernchancen. Vermenschlicht formuliert bedeutet das, dass das Gehirn Wiederholungen etwas ablehnend gegenübersteht. Für olle Kamellen will es keine Energie verschwenden.
Da kommt es wieder auf das Wie an. Also wie man eine gewisse Ernsthaftigkeit mit einer kurzen Konzentration hinbekommt und es danach wieder was Schönes gibt. Es geht darum, wie man einen Wechsel von Anspannung und Entspannung erreicht, damit die Kinder das auch annehmen können. Und gerade Teenager haben schon eine so gute kognitive Entwicklung, dass sie, wenn man ihnen erklärt, wie viel Zeit sie sich nachher im Schuljahr durch ein bisschen Wiederholung ersparen können, das schon verstehen können. Doch man darf auch nicht vergessen, dass das Kontrollzentrum der Teenager im Gehirn sich komplett im Umbau befindet. Und ausgerechnet die Regionen, die für Emotionen zuständig sind, übernehmen bei Teenagern die Regie.
rbb: Heißt das, dass man als Eltern eher nicht Fragen sollte, sondern besser einen Rahmen setzt und sagt, wie man sich das mit dem Lernen in den Ferien so vorstellt?
Michaela Sambanis: Ja, das klingt vernünftig. Man sollte dann auch nicht Kontrolle ausüben, sondern Interesse an dem Gelernten zeigen. Man kann es sich erklären lassen nachher – denn viele Kinder lernen am meisten, wenn sie es anderen beibringen.
Komplette Freiheit ist für Menschen ja grundsätzlich oft schwierig. Wenn wir aber einen gewissen Rahmen bekommen und innerhalb dieses Rahmens auch gestalten dürfen, haben wir viel mehr Freude daran. So hat man auch viel mehr Chance darauf, dass das Belohnungssystem im Gehirn sagt, dass man etwas gut erfüllt hat. Dann gibt es einen Dopaminausstoß und wir sind zufrieden und glücklich.
Und dann macht man es ja auch vielleicht am nächsten Tag wieder.
Wenn man Glück hat.
rbb: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Alex Krämer, rbb24.
Sendung: rbb24 Abendschau, 24.07.2025, 19:30 Uhr